ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) manifestiert sich bei Kindern und Jugendlichen unterschiedlich, abhängig von Geschlecht, Entwicklungsstand und individuellen Temperamenten. Während die Symptome bei Jungen oft früh erkannt und diagnostiziert werden, bleiben sie bei Mädchen oft länger unbemerkt, was dazu führt, dass ADHS bei Mädchen unterdiagnostiziert oder fehldiagnostiziert wird. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede können sowohl auf die Art der Symptome als auch auf die Erwartungen und Rollenbilder der Gesellschaft zurückgeführt werden.
Im Rahmen der Aufklärungsarbeit ist es besonders wichtig, nicht nur die bekannten Symptome zu beleuchten, sondern auch die weniger offensichtlichen oder „unbekannten“ Symptome hervorzuheben, die zu einer späten oder falschen Diagnose führen können. Dies fördert ein besseres Verständnis von ADHS und ermöglicht es Eltern, Lehrkräften und Fachleuten, gezielter zu handeln.
ADHS bei Jungen – Bekannte und unbekannte Symptome
Bekannte Symptome bei Jungen
Jungen werden häufig schon im frühen Kindesalter wegen ADHS diagnostiziert, da ihre Symptome oft offensichtlicher und disruptiver sind. Zu den klassischen Symptomen gehören:
Hyperaktivität:
Jungen mit ADHS zeigen häufig starke motorische Unruhe. Sie können kaum stillsitzen, sind ständig in Bewegung und suchen aktiv nach körperlichen Betätigungen.Sie neigen dazu, im Klassenzimmer aufzustehen, herumzulaufen oder mit Gegenständen zu spielen, selbst wenn dies unangebracht ist.
Impulsivität:
Jungen handeln oft impulsiv, ohne die Konsequenzen ihres Verhaltens zu bedenken. Sie unterbrechen andere, sprechen ohne nachzudenken oder ergreifen plötzlich die Initiative, auch wenn es unangebracht ist.
Konflikte mit anderen Kindern entstehen oft durch ihre impulsiven Reaktionen oder durch unbedachte Entscheidungen.
Unaufmerksamkeit:
Jungen haben Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit über längere Zeiträume aufrechtzuerhalten. Sie verlieren leicht den Faden und lassen sich schnell ablenken, insbesondere bei Aufgaben, die ihnen langweilig erscheinen. Diese Probleme fallen in der Schule besonders auf, da sie dazu führen, dass Jungen Aufgaben unvollständig oder fehlerhaft abgeben.
Unbekannte oder weniger beachtete Symptome bei Jungen
Neben den bekannten Symptomen gibt es auch weniger offensichtliche Anzeichen von ADHS bei Jungen, die häufig übersehen werden:
Emotionale Dysregulation:
Jungen mit ADHS haben oft Schwierigkeiten, ihre Emotionen zu regulieren. Sie können schnell frustriert, wütend oder traurig werden, und diese Emotionen sind häufig intensiver als bei anderen Kindern.
Diese emotionale Instabilität wird oft nicht direkt mit ADHS in Verbindung gebracht, kann aber zu erheblichen Herausforderungen im sozialen Miteinander führen.
Schlafprobleme:
Viele Jungen mit ADHS haben Probleme, zur Ruhe zu kommen oder einzuschlafen. Sie können abends nicht „abschalten“, was oft zu Schlafstörungen oder einem gestörten Schlafrhythmus führt.
Dies wird manchmal nicht als Teil des ADHS-Symptomspektrums erkannt, obwohl Schlafmangel die Symptome verstärken kann.
Überkompensation in sozialen Situationen:
Einige Jungen versuchen, ihre ADHS-Symptome durch übermäßiges Anstrengen in sozialen Situationen zu kompensieren, was sie zu Klassenclowns oder Anführern einer Gruppe machen kann. Dieses Verhalten verdeckt oft die eigentliche innere Unsicherheit oder Schwierigkeiten.
ADHS bei Mädchen – Bekannte und unbekannte Symptome
Bekannte Symptome bei Mädchen
Mädchen mit ADHS zeigen oft andere Symptome als Jungen, was dazu führt, dass ihre Diagnose häufig später oder seltener erfolgt. Ihre Symptome werden oft als weniger störend wahrgenommen und können dadurch im sozialen und schulischen Umfeld übersehen werden. Zu den bekannten Symptomen gehören:
Unaufmerksamkeit:
Mädchen zeigen typischerweise eher Symptome von Unaufmerksamkeit. Sie wirken oft verträumt, zerstreut oder unorganisiert, was insbesondere in der Schule auffällt.
Ihre Schwierigkeiten, sich über längere Zeiträume zu konzentrieren oder Aufgaben strukturiert zu erledigen, werden oft als „Tagträumen“ oder „Verpeiltheit“ abgetan.
Schwierigkeiten mit der Organisation:
Mädchen mit ADHS haben Probleme, Aufgaben und Verpflichtungen zu organisieren. Sie vergessen häufig Termine, verlieren Materialien oder haben Schwierigkeiten, sich auf mehrere Aufgaben gleichzeitig zu konzentrieren.
Emotionale Überempfindlichkeit:
Mädchen mit ADHS sind oft emotional empfindlich. Sie können sich schnell überfordert fühlen, haben häufig Stimmungsschwankungen und reagieren intensiver auf soziale Stressoren wie Streitigkeiten oder Kritik.
Unbekannte oder weniger beachtete Symptome bei Mädchen
Da ADHS bei Mädchen oft anders ausgeprägt ist, bleiben einige ihrer Symptome unerkannt oder werden missverstanden. Zu den weniger bekannten Symptomen gehören:
Internalisierte Symptome:
Während Jungen ihre Symptome oft externalisieren (also nach außen zeigen), neigen Mädchen dazu, ihre Schwierigkeiten zu internalisieren. Dies äußert sich in Selbstzweifeln, Ängsten oder einem übermäßigen Streben nach Perfektionismus.
Diese Tendenz zur Selbstkritik kann zu langfristigen psychischen Problemen führen, wie etwa Angststörungen oder Depressionen, und bleibt oft unerkannt, da sie nicht mit ADHS in Verbindung gebracht wird.
Soziale Überanpassung:
Mädchen mit ADHS neigen dazu, sich stark anzupassen und soziale Normen zu erfüllen, was dazu führt, dass ihre Schwierigkeiten verdeckt werden. Sie sind oft extrem bemüht, gemocht zu werden und sich anzupassen, was zu übermäßigem Stress führen kann.
Dies führt häufig dazu, dass ihre ADHS-Symptome erst dann erkannt werden, wenn sie im Jugendalter oder jungen Erwachsenenalter „zusammenbrechen“ und emotionale oder soziale Krisen erleben.
Unauffällige Impulsivität:
Im Gegensatz zu Jungen äußert sich die Impulsivität bei Mädchen oft in unauffälligen Verhaltensweisen, wie etwa impulsivem Essen, Shopping oder exzessivem SMS-Schreiben. Diese Verhaltensweisen werden oft als Teil des „typischen Mädchenverhaltens“ abgetan und nicht als ADHS-Symptom erkannt.
Probleme im Selbstwertgefühl:
Mädchen mit ADHS entwickeln häufig ein geringes Selbstwertgefühl, da sie sich im Vergleich zu ihren Altersgenossen oft als „weniger organisiert“ oder „weniger fähig“ empfinden. Sie haben das Gefühl, dass sie den Erwartungen anderer nicht gerecht werden, was zu anhaltenden Selbstzweifeln führt.
ADHS bei Jugendlichen – Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen
Im Jugendalter nehmen die ADHS-Symptome oft eine andere Form an, da sowohl Jungen als auch Mädchen beginnen, mehr Verantwortung zu übernehmen und den sozialen Druck stärker zu spüren. Der Übergang von der Kindheit ins Jugendalter ist oft eine besonders schwierige Phase für Jugendliche mit ADHS.
Jungen im Jugendalter:
Jungen zeigen im Jugendalter häufig noch immer Symptome der Impulsivität und Hyperaktivität, allerdings in subtileren Formen. So äußert sich Hyperaktivität eher durch Risikoverhalten, wie etwa impulsives Autofahren, Drogenkonsum oder riskantes Verhalten in sozialen Medien.
Gleichzeitig haben sie häufig Schwierigkeiten, ihre akademischen Pflichten zu erfüllen, da das höhere Maß an Selbstorganisation in der Schule oder im Beruf ihre ADHS-Symptome stärker herausfordert.
Mädchen im Jugendalter:
Bei Mädchen treten oft stärker die emotionalen Symptome in den Vordergrund. Sie fühlen sich sozial isoliert, erleben verstärkte Selbstzweifel und kämpfen mit Ängsten und Depressionen.
Aufgrund der gesellschaftlichen Erwartung an „perfektes“ Verhalten sind viele Mädchen bestrebt, ihre Symptome zu verbergen, was zu erhöhtem Stress und Erschöpfung führt.
Früherkennung und Aufklärung
Es ist wichtig, das Bewusstsein für ADHS sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen zu schärfen und die vielfältigen Symptome zu erkennen. Besonders Mädchen bleiben häufig länger unerkannt, da ihre Symptome oft subtiler oder sozial akzeptierter erscheinen. Durch eine umfassende Aufklärungsarbeit, die auch die weniger offensichtlichen oder unbekannten Symptome von ADHS beleuchtet, können Kinder und Jugendliche rechtzeitig unterstützt und gefördert werden. Nur durch ein tiefes Verständnis der geschlechtsspezifischen Unterschiede in der ADHS-Symptomatik können wir sicherstellen, dass alle Betroffenen die Hilfe erhalten, die sie benötigen.